Mehr als nur fliegende Hände www.visuelles-denken.de

Gebärdensprache - das ist mehr als Gebärden eine Sammlung von Zeichen, die man mit den Händen macht. Darum mögen Gehörlose den Begriff "Zeichensprache" gar nicht. Zeichen kann man mal so, mal so ausführen. Komplizierte Abläufe oder abstrakte Zusammenhänge lassen sich damit nicht ausdrücken oder nur innerhalb eines starren Rahmens.

Sprachen sind dagegen flexibel und dynamisch, folgen aber zugleich einem Grundgerüst aus Regeln, der Grammatik. Wenn Sie in der deutschen Sprache den Satz lesen: "Die Transfektion ist mittlerweile eine wichtige Technik in biologischen Laboratorien", dann verstehen Sprache Sie fast alles, nur das Wort "Transfektion" wird den meisten fremd sein. Sie erkennen jedoch, dass es ein Substantiv sein muss und in diesem Satz das Subjekt ist, denn das folgt aus den Grammatikregeln. Diese bringen verlässliche Strukturen in eine Sprache. Was eine "Transfektion" ist, hätte Ihnen vor ein paar Jahrzehnten überhaupt niemand verraten können, weil es das Wort noch gar nicht so lange gibt. Doch irgendwann hatten Biologen eine neue Methode entwickelt, für die sie einen Namen brauchten. Schwupps - erschien die Transfektion. Sprachen sind schon ziemlich lebendige Angelegenheiten.

Mimik Das gilt besonders für Gebärdensprachen. Am auffälligsten sind dabei zweifellos die Hände, aber wenn jemand gebärdet, ist noch viel mehr los: Mit der Mimik des Gesichtes kann ein Erzähler Ihnen klarmachen, ob er ein Buch gerne gelesen hat oder sich dazu überwinden musste. Die Handbewegungen sind in beiden Fällen gleich, den Unterschied machen die Augen, der Mund und die Stirn samt Augenbrauen aus. Sie können das in Lektion 2 selbst einmal üben.

Bei Gebärden, die sehr ähnlich oder sogar gleich sind, obwohl siedenken verschiedene Bedeutungen haben, muss man auf das Mundbild des Erzählers achten. Daran kann man unterscheiden, ob jemand etwas "denkt" oder "weiß". Beides wird mit einem Zeigefinger gebärdet, der von der Stirn schräg nach vorne weggeht. Das Ablesen von den Lippen darf man aber auch nicht überbewerten. Es ist sehr anstrengend, und in manchen Fällen sogar unmöglich. Die Fragen "Wo ist die Mutter?" und "Wo ist die Butter?" haben zum Beispiel ein identisches Mundbild.

Übrigens dürfen Sie mit Ihren Händen nicht einfach gebärden, wo Sie wollen. Es gibt bestimmte Vorschriften, Ich besuche dichan welcher Stelle und in welche Richtung eine Gebärde ausgeführt wird. Sonst erzählen Sie plötzlich vom "Dorf", statt vom "Sohn" oder aus dem "Tag" wird ein "für". Die Nutzung des so genannten Gebärdenraums erlaubt es mitunter, einen ganzen Satz der Lautsprache, wie zum Beispiel: "Ich besuche dich", zu einer einzigen Bewegung zusammenzufassen. Bis zu neun Informationen können in einer Gebärde stecken, und alle neun muss man gleichzeitig erfassen, um voll zu verstehen. Zum Glück sind so dicht gepackte Infos auch in Gebärdensprache die Ausnahme. Einen ersten Vorgeschmack auf den Gebärdenraum bekommen Sie in der Lektion 7.

FingeralphabetKennt man eine Gebärde nicht und hilft das Mundbild nicht weiter, kann man ein Wort mit dem Fingeralphabet buchstabieren. In Lektion 3 lernen Sie die Buchstaben kennen. Das ist ein wenig mühselig, so wie bei gesprochenen Sprachen auch. Deshalb benutzen Gehörlose es auch nur selten, vor allem bei Eigennamen und Fremdwörtern. Wenn sie das Wort öfter benötigen, erfinden sie schnell eine neue Gebärde dafür. Eigentlich der gleiche Vorgang wie bei den Forschern, als sie die "Transfektion" ins Leben gerufen haben. Allerdings sind neue Gebärden meistens schöner als wissenschaftliche Fachausdrücke.

Die Deutsche Gebärdensprache ist nicht nur eine Sprache, Kulturund Gehörlosigkeit bedeutet mehr als nur ein Leben ohne Hören. Weil die Kommunikation in einer hörenden Mehrheit fast ausschließlich über gesprochene Worte abläuft, werden Gehörlose oft ausgeschlossen, selbst wenn dies unbeabsichtigt geschieht. Die meisten Gehörlosen suchen daher den Kontakt zu ihresgleichen, wo sie ungehindert losgebärden können und alles mitbekommen. Sie erleben ihre Sprache und Gemeinschaft als ein Zuhause, das Verstehen und Geborgenheit bietet. In den Kapiteln 8, 9 und 10 reißen wir einige Aspekte der Gehörlosenkultur und -geschichte sowie ihrer Sprache kurz an.

Jetzt aber weg mit der Theorie! Lockern Sie Ihre Gesichtsmuskeln - wir üben ein bisschen Mimik.

Lektion1
Mehr als nur fliegende Hände

Lektion2
Lebendige Gesichter

Lektion3
Das Fingeralphabet

Lektion4
Sich vorstellen

Lektion5
Grundelemente von Gebärden

Lektion6
Wie geht's?

Lektion7
Hin und her

Lektion8
Ein kurzer Blick zurück

Lektion9
Eine vollwertige Sprache

Lektion10
Gehörlosenkultur

Lektion11
Wo geht es weiter?

Schnupperkurs Deutsche Gebärdensprache

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